Elternzeitreise USA & Kanada - Einladung in fremde Wohnzimmer

Wir haben einen Brief bekommen. Einen mit Schreibmaschine getippten Brief. Absender: Ein 82-jähriger pensionierter Pastor aus Pipestone, Minnesota.
Wie es zu dieser außergewöhnlichen Brieffreundschaft kommt? Alles fängt an mit einem glucksenden Kind, das am Seniorentisch Entzückung weckt, mit der Frage „Where are you from?", oder, wenn man es genau nimmt, eigentlich schon mit einem Unwetter am Rastplatz. Aber vielleicht der Reihe nach.

Von Briefen, Besuch in fremden Wohnzimmern und Friedenspfeifen

Auf unserer Tour durch die USA und Kanada während der Elternzeit wählen wir bewusst Nebenstraßen und weniger bekannte Regionen. Wir fahren durch South Dakota und wollen von dort weiter nach Minnesota. Kurz vor der Staatengrenze zieht ein gewaltiges Unwetter auf. Da die Sicht bei strömendem Regen und Wind grauenhaft ist, beschließen wir am Rastplatz zu halten und dort die Nacht zu verbringen. Wer nun an heruntergekommene Waschräume mit verdreckten Toiletten und überfüllten Parkplätzen denkt liegt dabei übrigens völlig falsch. Amerikanische Rastplätze könnte man aus deutscher Sicht größtenteils als luxuriös bezeichnen. Alles sauber, alles gepflegt und teilweise sogar mit kostenlosem WLAN. Besonders an den Rastplätzen der Staatengrenzen lohnt es sich anzuhalten. Denn diese sind meist sogenannte Visitor oder Travel Center, in denen der Besucher ausführliche Infos zur Region bekommt. Es gibt Straßenkarten, Broschüren und Informationen – teilweise sind die Touristeninformationen sogar mit mehreren Personen besetzt, sodass man sogar persönliche Tipps bekommt.

Aber zurück zur Geschichte. Alles ist sehr gepflegt und sauber. Und so kommt es, dass wir auf einen zum Plaudern aufgelegten Herrn vom Reinigungstrupp treffen und mit ihm ins Gespräch kommen. Während draußen das Unwetter tobt unterhalten wir uns mit ihm über unsere Reise und fragen ihn nach Tipps für die Weiterfahrt. Er freut sich merklich, dass wir uns für seine Heimat interessieren und empfiehlt uns den kleinen Ort Pipestone. Als alter Karl May Fan wird der Gatte sogleich hellhörig, erkennt er doch den Ort aus seinen früheren Lieblingsbüchern wieder.

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Auf nach Pipestone

So verbringen wir die Nacht bei Regegeprassel im Wohnmobil (nichts ist gemütlicher!). Morgens werden wir von einer weniger freundlichen Reinigungsfachkraft gebeten, doch bitte den Parkplatz zu räumen. Wir wollen uns auf keine Diskussion einlassen und beschließen, gleich zum Frühstück nach Pipestone zu fahren. Es ist Sonntagmorgen, alles wirkt noch recht verschlafen, aber wir finden ein Café, das geöffnet hat. Als wir bestellen wundern wir uns noch über die immense Zahl an Mitarbeitern, die mit Headsets ausgestattet hinter dem Counter stehen – wir sind fast die einzigen Gäste. Doch als wir unseren Kaffee trinken verstehen wir: Es ist Sonntagmorgen, die Kirche ist aus und die Kirchenbesucher strömen nun in das Café und stehen Schlange.

Am großen Tisch nebenan versammelt sich munter schwatzend eine Gruppe Senioren. Unser Kleiner gluckst fröhlich vor sich hin, während er unsere Geduld im Löffel-Aufheben-Spiel testet. So erhält er die Aufmerksamkeit der Seniorenrunde, die allesamt ganz entzückt ist vom kleinen Blondschopf. Wie so oft auf unserer Reise ist eine der ersten Fragen „Where are you from?". Auf die Antwort „Germany" folgen Kostproben der Deutschkenntnisse, Berichte von eigenen Reisen nach Deutschland und von deutschen Vorfahren. Das Interesse an unserer Reise ist groß, die Runde möchte ganz genau wissen, was wir machen, wie das mit dem Kind auf Reisen klappt und wo wir schon überall waren. Wir kommen ins Gespräch mit Charles, einem pensionierten Pastor, der uns von der ortsansässigen Hutterer-Kolonie erzählt, einer Glaubensgemeinschaft, die ihre Wurzeln in Deutschland hat. Ob wir denn an einer kleinen privaten Führung interessiert wären? Natürlich sind wir das. Und so sitzen wir zwanzig Minuten später, Kindersitz umgebaut, im Auto des Pastors und fahren gemeinsam mit seinem Bekannten Gordon zur Kolonie der Hutterer. Charles hat ihn angerufen und von uns erzählt, denn eigentlich ist Besuch dort nicht gerne gesehen. Aber da Gordon als Landwirt mit den Bewohnern der Hutterer-Gemeinschaft bekannt ist, kann er uns die Anlage zeigen. Die aus 18 Familien bestehende Kolonie lebt nahezu autark mit eigener Lebensmittelproduktion, Tierzucht, Großküche, Kirche und identisch aneinander gereihten Wohnhäusern.

Auf Besuch bei Charles
Auf Besuch bei Charles

Kaffee und Kuchen im amerikanischen Wohnzimmer

Die aus 18 Familien bestehende Kolonie lebt nahezu autark mit eigener Lebensmittelproduktion, Tierzucht, Großküche, Kirche und identisch aneinander gereihten Wohnhäusern. In der Schule der Siedlung wird auch heute noch deutsch gesprochen und altdeutsche Schrift gelehrt. Gegessen wird gemeinsam, die Frauen auf der einen Seite, Männer auf der anderen. Beten ist ein äußerst wichtiger Bestandteil des Tagesablaufs.

Unser „Tourguide" Gordon berichtet ausführlich über das Leben der Kolonie und allerhand über die Region. Als aus dem Kindersitz Gequengel kommt, werden wir von Gordon eingeladen, die Breifütterung doch im heimischen Wohnzimmer vorzunehmen und gleich noch den köstlichen Kuchen seiner Frau zu probieren. So sitzen wir Minuten später mit drei herzlichen Senioren, die wir zwei Stunden vorher noch nicht einmal kannten, im Wohnzimmer, essen Kuchen und trinken Eistee. So haben wir uns die Elternzeitreise vorgestellt. Genau so.

Nach Tee, Kuchen und vielen, vielen Geschichten zeigt Charles uns noch das, wofür wir ursprünglich nach Pipestone gefahren sind. Das Pipestone National Monument, der Ort, an dem die Native Americans bis heute den Stein für ihre Friedenspfeifen abbauen. Große Indianerglücksmomente für das große Kind unserer Familie.

Wir verabschieden uns von Charles. Natürlich nicht, ohne vorher noch Adressen auszutauschen. Er möchte so gerne erfahren, wie unsere Reise weitergeht. Natürlich bekommen wir auch noch Tipps für die Weiterreise. Es gäbe da einen sehr deutschen Ort, New Ulm heiße er. Da sollten wir uns doch mal ansehen. Ein Tipp, der uns noch auf die Titelseite der Zeitung bringen sollte. Aber dazu im nächsten Teil mehr.

Post aus den USA
Post aus den USA

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Weiterlesen:
Elternzeitreise USA & Kanada - Teil 1: Von Flügen, Bestechungs-Schokolade und Textmarkern
Elternzeitreise USA & Kanada - Teil 2: Zehn Gründe für eine Elternzeitreise im Wohnmobil
Elternzeitreise USA & Kanada - Teil 3: Reiseroute
Elternzeitreise USA & Kanada - Teil 4: Von Schreibmaschinen-Brieffreundschaften, Besuch in fremden Wohnzimmern und Friedenspfeifen
Elternzeitreise USA & Kanada - Teil 5: Wie wir Zeitungsstars in Amerikas Most German City wurden